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5. Wenn das Alte anklopft - und man nicht mehr öffnet



Susan hatte lange nicht mehr geschrieben. Vielleicht, weil ihr die Worte fehlten. Vielleicht, weil sie nicht wusste, wie sie sich ausdrücken sollte, ohne in die alten Muster zu verfallen. Es war, als ob die Stille selbst mehr sagte als jeder Satz. Vielleicht war es aber auch einfach der Moment, in dem sie sich selbst nicht mehr verstand – oder sich nicht mehr in der Form wiederfinden wollte, wie sie früher war.


Und Helmut?


Er war da, aber irgendwie auch nicht. Ihre Beziehung zu ihm hatte sich verändert, oder besser gesagt, sie hatte sich verändert, in der Art und Weise, wie sie ihn sah. Es war nicht mehr die Nähe, die sie einst miteinander verband, und doch war er immer irgendwie präsent. Eine ständige Beobachtung. Sie sah ihn, und er beobachtete sie. Und diese ständige Beobachtung war nicht mehr das, was sie brauchte.


Es war keine feindselige Ignoranz, sondern vielmehr ein Schutzmechanismus, den sie sich zulegte. Eine kühle Distanz, die es ihr ermöglichte, sich nicht zu verlieren. Sie hatte diesen Abstand gebaut, um sich nicht wieder in alten Rollen zu verfangen, um sich nicht wieder in Mustern zu verlieren, die sie früher immer wieder durchlebte – und von denen sie wusste, dass sie sie nicht mehr leben wollte.


Denn Susan erkannte: Es war nicht nur Helmut. Es waren die alten Mechanismen, die in ihr immer wieder auftraten – Dinge, die sie schon lange hinter sich lassen wollte. Es waren nicht die Dinge, die im Außen passierten, sondern die Art und Weise, wie sie darauf reagierte. Diese alten Rollen, die sie spielte, die sie selbst vielleicht nie wirklich wollte, aber in denen sie sich immer wieder wiederfand.


Doch jetzt, da sie hinsah, wusste sie, dass sie eine Entscheidung treffen musste. Sie wollte diese Rolle nicht mehr leben. Nicht für Helmut. Und vor allem nicht für sich selbst. Sie brauchte mehr als das – sie brauchte Ruhe. Stille. Und einen Raum, in dem sie wirklich sein konnte, ohne sich anzupassen, ohne alte Mechanismen zu wiederholen.


Der Parkinson hatte sich in ihr Leben geschlichen. Er war leise, aber er war da – immer dann, wenn der Stress überhandnahm und sie versuchte, alles unter Kontrolle zu halten. Die vielen kleinen Herausforderungen des Alltags, die sich in die großen Unsicherheiten ihres Körpers mischten. Doch vielleicht war es genau das, was sie brauchte, um innezuhalten, um sich selbst zu sehen. Vielleicht war es die Erinnerung daran, dass das Leben nicht immer in der alten, gewohnten Form weitergehen konnte.


Und so begann sie, wieder zu schreiben. Nicht, um zu erklären oder zu rechtfertigen, sondern um zu verstehen. Um einen neuen Anfang zu finden – jenseits der alten Muster, jenseits der Dinge, die sie sich selbst auferlegt hatte.


Alles in allem wusste sie, dass es an der Zeit war, still zu werden. Nicht nur gegenüber Helmut, sondern gegenüber sich selbst. Und in dieser Stille fand sie etwas, das sie lange vermisst hatte – Ruhe.

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